Schachmatt der Scheinselbstständigkeit!
Regelmäßig stoßen Modelle der Zusammenarbeit mit externen Experten insbesondere bei agilen Projekten oder digitaler Transformation auf massive rechtliche Bedenken im Hinblick auf Scheinselbstständigkeit oder verdeckte Arbeitnehmerüberlassung. Zugleich sind die Unternehmen auf externe Experten angewiesen. Diese wollen häufig Freelancer bleiben und möchten sich nicht anstellen lassen.
Wie können Unternehmen diesen Spagat hinbekommen und Projekte erfolgreich umsetzen? Die Sorge, durch ein Projekt mit dem Lieferanten gegen Gesetze oder Compliance-Regeln zu verstoßen, ist nicht unbegründet. Scheinwerkverträge oder rechtswidrige Arbeitnehmerüberlassung sind komplexe Themen. Einkäufer und Projektleiter stehen häufig allein mit diesem Problem da. Sie quälen sich in der Praxis durch lange Checklisten, die die Beschaffung von externen Experten und damit den Projekterfolg erheblich behindern.
Das Update des Statusfestellungsverfahrens soll die Lage vereinfachen. Unternehmen die Externe einsetzen sollen schneller Klarheit über die Rechtmäßigkeit von Scheinselbstständigkeit und verdeckter Arbeitnehmerüberlassung erlangen.
Probleme bei direkten Vertragsverhältnissen mit Selbstständigen
Scheinselbstständige Arbeitnehmer sind Personen, die als Selbstständige auftreten, tatsächlich aber sozialversicherungsrechtlich abhängige Beschäftigte sind. Nach § 1 Abs. 1 SGB IV ist Beschäftigung „die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.“ Maßgeblich ist also das Zwei-Personen- Verhältnis zwischen Auftraggeber und Scheinselbstständigen bzw. Arbeitgeber und Beschäftigten.
Die Prüfung der Scheinselbstständigkeit ist vor allem sozialversicherungsrechtlich geprägt. Für Scheinselbstständige müssten sowohl Sozialversicherungsbeiträge als auch Lohnsteuer abgeführt werden. Es drohen Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren. Weiter führt dies für den Auftraggeber zu einem Ausschluss bei der Vergabe von öffentlichen Ausschreibungen.
Probleme bei Dienst- oder Werkverträgen im Drei-Personen-Verhältnis
Arbeitnehmerüberlassung (ANÜ) bedeutet, dass derjenige, der die Arbeitsleistung erbringt, Weisungen vom Kunden (Entleiher) erhält oder in dessen Organisation integriert ist.
ANÜ wird vor allem durch das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) geprägt. Es beschreibt ein Zeitarbeitsverhältnis. Dabei wird der Arbeitnehmer des Zeitarbeitsunternehmens beim Kunden wie dessen eigener Arbeitnehmer tätig. Maßgeblich ist also das Drei-Personen- Verhältnis zwischen Auftraggeber, Auftragnehmer und dessen Arbeitnehmer.
Der Arbeitsvertrag ist in § 611a Abs. 1 BGB definiert. Es geht im Kern um die weisungsgebundene, fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit und deren tatsächliche Umsetzung.
Das bedeutet vereinfacht: Jeden Morgen fragt der Zeitarbeiter: „Chef, was soll ich heute tun?“ Wird die ANÜ verkannt und eine Zulassung nach AÜG liegt nicht vor, dann wird rechtswidrig gehandelt.
Was bedeutet das neue Statusfeststellungsverfahren für Einkäufer?
Auf Antrag kann und konnte bei der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV Bund) der Status von Selbstständigen festgestellt werden. Dadurch können sich die Parteien vor den Risiken einer falschen Einschätzung schützen.
Das Verfahren wurde zum 1. April 2022 reformiert. Dadurch soll die Feststellung, ob jemand als sozialversicherungsrechtlicher Beschäftigter tätig ist, früher, einfacher und schneller als bisher durchgeführt werden können. Aus diesem Grund erhielt das Verfahren einige prozessuale Änderungen. Durch die Änderungen sollen unter anderem Prognoseentscheidungen vor Aufnahme der Tätigkeit und Gruppenfeststellungen für mehrere Aufträge gleichzeitig ermöglicht werden. Auch wurde die Bindungswirkung für Dreiecksverhältnisse erweitert. Fortan wird das Verfahren über den Erwerbsstatus entscheiden, und nicht mehr über die Frage nach der Versicherungspflicht.
Inhaltlich hat sich leider nichts geändert. Die Kriterien für die Unterscheidung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit bleiben gleich unscharf. Oftmals entscheiden Kleinigkeiten bei der Vertragsdurchführung darüber, ob eine rechtswidrige Tätigkeit vorliegt oder eben nicht. Damit bleibt das Risiko in der Praxis bestehen. Besonders schwierig ist die Gesamtbetrachtung der tatsächlichen Umsetzung als maßgebliches Kriterium für die Qualifikation als Arbeitnehmer. Jeder Einzelfall muss geprüft werden. Nach wie vor stehen die Unternehmen vor der Herausforderung, den Spagat zwischen der Beschaffung von Projektressourcen und Compliance zu gewährleisten.
Wie können Einkauf von Externen und Compliance ausbalanciert werden?
Die üblichen Checklisten in der Praxis geben zumeist weder eine differenzierte Einschätzung noch Ansatzpunkte zur Gestaltung der Geschäftsbeziehung. Legal Tech Tools in Verbindung mit einem professionell gesteuerten Compliance-System ermöglichen die gewünschte Balance. Durch sie können auch Beziehungen für die Zusammenarbeit mit Externen in den unscharfen Graubereichen erfasst und die Risiken bewusst gesteuert werden. Ein professionelles Compliance Framework deckt in einem zirkulären Prozess die Zusammenarbeit mit Externen ganzheitlich ab. Zunächst wird nach einer Fit-Gap-Analyse das Expert- System etabliert und später mit neuen Erkenntnissen optimiert. Alle Beteiligten werden regelmäßig auf die Problemfelder und Maßnahmen sensibilisiert. Im Rahmen des Beschaffungsprozesses werden dann Experten gesucht und ausgewählt. Sofern im laufenden Monitoring Ungewöhnliches auffällt, werden die definierten Maßnahmen zur Steuerung der Risiken umgesetzt.
Als Case Study aus der Beratungspraxis des Autors lässt sich das Expert Compliance System von Leobalo nennen. Mit dem zugehörigen Legal Tech Tool, dem Leobalo Expert Compliance Check, erhält der Nutzer ein Kurzgutachten, ob etwas schiefläuft und was verbessert werden muss. Die Erkenntnis ist aber nur der erste Schritt. Geschäftsführer und auch Einkäufer sind gut beraten, auch in die Umsetzung zu gehen. Das Tool ist für Einkäufer und Projektleiter unter der Web-Adresse https://leobalo.de/scheinselbstaendigkeit-pruefen/ nutzbar.
Fazit und Ausblick
Leider hat die Reform des Statusfeststellungsverfahrens nicht die erhoffte Vereinfachung und Rechtssicherheit gebracht. Nach wie vor müssen Einkäufer Compliance und externe Ressourcen ausbalancieren. Ein auf die Themen Arbeitnehmerüberlassung und Scheinselbstständigkeit ausgerichtetes Compliance-System ermöglicht es Einkäufern dennoch, Marktpotenziale umfassend auszuschöpfen. Einkäufer können durch Legal-Tech-Applikation sinnvoll unterstützt werden. Sie gewinnen einmal mehr den Kampf um externe Ressourcen.
Der Autor Kristian Borkert ist Rechtsanwalt und Gründer von Juribo Legal & Consulting.
E-Mail-Kontakt: Kristian.Borkert@juribo.de