25.06.2022Awards/Förderpreise

„Lieferketten engmaschig überwachen“

Edscha hat den BME-Preis „Excellence in eSolutions 2022“ gewonnen. Der Remscheider Automobilzulieferer erläutert im BME-Gespräch, wie er digitale Lösungen zur Effizienz- und Transparenzsteigerung seines globalen Einkaufs einsetzt.
Edscha-Einkaufsleiter Dominik Henne (links im Bild) und Stefan Wutscherk, Edscha-Leiter Prozesse und Methoden Einkauf, bei der Preisverleihung auf den diesjährigen BME-eLÖSUNGSTAGEN in Düsseldorf.© Anne Wirtz/BME e.V.

„Edscha bewegt“ heißt es auf der Homepage des nordrhein-westfälischen Herstellers von Karosserieprodukten. Seit mehr als 150 Jahren sorgt der traditionsreiche Industriebetrieb mit seinen heute rund 5.600 Beschäftigten an weltweit 24 Standorten in mittlerweile 15 Ländern für Bewegung – zunächst bei Kutschen, später dann auch bei Automobilen. Der jetzt an die Edscha Holding GmbH verliehene BME-Award „Excellence in eSolutions 2022“ war für die BIP-Redaktion ein willkommener Anlass, mehr über das Unternehmen, vor allem aber über dessen Einkaufsorganisation zu erfahren.

„Edscha ist eine Division des spanischen Automobilzulieferers Gestamp und arbeitet aufgrund des unterschiedlichen Produktspektrums relativ autark. Das gilt auch für meinen Bereich“, sagt Dominik Henne, Einkaufsleiter der Edscha-Gruppe, im BIP-Gespräch. Gleichzeitig gebe es eine ganze Reihe von Schnittstellen mit Gestamp, so unter anderem im Rohmaterialbereich bei der Stahlbeschaffung oder der inzwischen strategisch wichtigen Energieversorgung.

Neustrukturierung. Die Edscha-Einkaufsabteilung wurde vor drei Jahren umgebaut – „weg von einer zentralen und hin zu einer hybriden Organisation“, erläutert Henne, der seit 2006 bei Edscha arbeitet. Zugleich wurde die Abteilung „Prozesse und Methoden Einkauf“ unter der Leitung von Stefan Wutscherk mit dem Ziel gegründet, die Einkaufsprozesse durch innovative Softwarelösungen zu mehr Effizienz zu transformieren. Bei Edscha gebe es heute eine Mischung aus zentralem und regionalem Einkauf, fährt Henne fort Die neue dreidimensionale Struktur mit ihren 70 Beschäftigten besteht aus den Ebenen strategischer Einkauf, Projekteinkauf und operativer Einkauf. „Die globale Abstimmung zwischen den einzelnen Einheiten in Europa, Asien sowie Nord- und Südamerika erfolgt auf Basis unserer fünf wichtigsten Commodities. Dazu zählen die Warengruppen Stahl, Kunststoff- und Kunststoffkomponenten, Metallkomponenten, Mechatronik/Elektronik sowie indirektes Material und Investitionen“, listet Henne auf.

Angesichts der Standortvielzahl bei gleichzeitig großen Länderunterschieden verfolgt Edscha sowohl eine globale als auch eine regionale Beschaffungsstrategie. Einige weltweit agierende Lieferanten werden von der Zentrale in Remscheid gesteuert, viele lokale Dienstleister stehen vor Ort in Kontakt mit den Einkäufer:innen der einzelnen Edscha-Standorte. „Die Zahl der Lieferanten für unser Produktionsmaterial liegt bei rund 900. Das jährliche Beschaffungsvolumen beträgt 450 Millionen Euro bei einem Umsatz von mehr als 900 Millionen Euro“, fügt Henne hinzu.

Als Global Player kann sich auch Edscha den wachsenden geopolitischen Spannungen nicht entziehen. So musste die Produktion von Scharniersystemen im russischen Werk in Togliatti aufgrund des Krieges in der Ukraine stark gedrosselt werden. Dennoch gebe es aktuell keine Absicht, die Fabrik in der Samara-Region zu schließen. Allerdings seien die Edscha-Lieferketten sowohl in Russland als auch in der Ukraine empfindlich gestört. „Bisher bezogen unsere Stahllieferanten beispielsweise Vormaterial und Eisenerz aus der Ukraine. Nickel und andere Legierungselemente zur Stahlveredlung kommen aus Russland. Die jetzt zu beobachtenden Marktturbulenzen treiben uns sehr stark um“, betont Henne.

Chinesischer Markt bleibt schwierig. Ob das auch für die fünf Standorte in China gelte, fragt BIP. Der Edscha-Einkaufsleiter verweist zunächst auf die beeindruckende Performance der vergangenen Jahre in der Volksrepublik. Bei der Übernahme von Edscha durch Gestamp 2010 habe der Umsatz im Reich der Mitte bei rund 50 Millionen Euro gelegen. Inzwischen seien es mehr als 200 Millionen Euro. Edscha will in China weiterwachsen. Dennoch bleibe die größte Volkswirtschaft Asiens ein schwieriger Markt. „Obwohl wir Weltmarktführer bei Scharniersystemen sind, kommen in China viele Wettbewerber hoch, die mit uns um neue Aufträge konkurrieren, berichtet Henne. Der chinesische Beschaffungsmarkt für die lokalen Werke werde von Edscha als relativ autark eingeschätzt. Er sei allerdings für das deutsche Unternehmen wegen der starken Marktposition bei elektronischen und mechatronischen Systemen sehr wichtig für die Werke in Europa und Amerika.

Neben den geopolitischen Spannungen werden auch die coronabedingten Störungen für die internationalen Lieferketten immer wieder zum Stresstest. So sorgt beispielsweise der derzeitige Lockdown in der Metropolregion Shanghai und die damit einhergehende Beeinträchtigung des größten Containerhafens der Welt für massive Verzögerungen beim Schiffsumschlag. Auch Edscha ist von davon betroffen, einerseits, weil die eigenen Werke geschlossen sind, andererseits, weil auch viele Sublieferanten nicht produzieren können. Der jüngste Lockdown führte dazu, „dass wir zeitweise Kunden nicht beliefern und bestellte Waren bei Lieferanten nicht abholen konnten“, berichtet Henne.

Risikomanagement ist das A und O. Es sei deshalb sehr wichtig, die eigenen Lieferketten engmaschig zu überwachen. Edscha habe mithilfe von riskmethods, einer KI-basierte Software zur Identifizierung, Bewertung und Minderung von Störungen in der Supply Chain, sein Risikomanagement frühzeitig optimiert. Damit ließen sich beispielsweise Störungen in den Lieferketten frühzeitig erkennen und entsprechende Gegenmaßnahmen zeitnah einleiten. Wie angespannt die Situation im weltweiten Transport- und Logistiksektor ist, zeigt folgendes Beispiel. „Vor Corona war ein Transport von Shanghai nach Detroit rund sechs Wochen unterwegs. Heute sind es drei Monate“, erklärt Henne.

Edscha kauft beträchtliche Mengen an Metallen und Kunststoffen ein. Deshalb ist auch hier ein tägliches Scannen der Märkte notwendig, um die wachsenden Volatilitäten im Blick zu behalten. Die sich seit Monaten stetig verteuernden Industrierohstoffe führen auch bei Edscha zu steigenden Einkaufs- und Verkaufspreisen.

Wir haben mithilfe einer KI-basierte Software zur Identifizierung, Bewertung und Minderung von Störungen in der Supply Chain unser Risikomanagement frühzeitig optimiert.

Dominik HenneEinkaufsleiter der Edscha-Gruppe

Das Unternehmen hat großen Bedarf an Bandstahl, den der Edscha-Einkauf gemeinsam mit der Muttergesellschaft beschafft. Dabei werden Automotive-Verträge mit einem Jahr Gültigkeit abgeschlossen. Die Mengen sind abgesichert. Anders sei es bei Schmiede- und Walzstahl. Hier kommen hauptsächlich Spotverträge zum Einsatz. Mengen können zwar kurzfristig gesichert werden, nicht aber der Preis. Dieser wiederum sei laut Henne „seit dem Krieg in der Ukraine in die Höhe geschnellt“.

Stärkere Daten-Transparenz. BIP will auch wissen, ob die vom BME prämierte digitale Lösung zur Effizienz- und Transparenzsteigerung des globalen Edscha-Einkaufs wesentlichen Einfluss auf die Optimierung des Risiko- und Lieferantenmanagements hat. Wutscherk versichert: „Absolut ja, denn es macht unsere Beschaffungsprozesse insgesamt deutlich schneller und sorgt für eine stärkere Daten-Transparenz. Es können von uns beispielsweise alle Kennzahlen eines Lieferanten – von seinem möglichen finanziellen Risiko bis hin zu eventuellen Problemen in seiner Supply Chain – zeitnah abgerufen werden. Der Einkauf erhält auch Informationen über die Entwicklung von Kosten und Preisen sowie Hilfen bei der Suche nach alternativen Produktionsmaterialien oder Lieferanten.

Edscha verfolgt eine langfristige digitale Transformationsstrategie, bei der innovative Technologien und Eigenprogrammierungen zum Einsatz kommen. Gemeinsam mit Edscha erneuert der Gestamp-Konzern gerade seine Prozesse und treibt die Digitalisierung im Unternehmen voran. Bei diesem konzernweiten Transformations­projekt spielt der Einkauf eine zentrale Rolle. „Wir bündeln nun unsere Kompetenzen, nutzen Synergien der verschiedenen IT-Welten und beschleunigen somit die digitale Prozessneuausrichtung. Zum Beispiel forcieren wir konzernweit die Nutzung einer gemeinsamen SRM-Plattform sowie den weiteren Ausbau eines besonders im heutigen Kontext essenziellen Risiko- und Lieferantenmanagements“, informiert Stefan Wutscherk.

Wie viele andere Unternehmen befinde sich Edscha seit Ausbruch der Covid-19-Pandemie im permanenten Krisenmodus. Angesichts der Vielzahl an Lieferkettenproblemen sei es für den 1870 gegründeten Betrieb schwierig, die nötige Flexibilität zu schaffen. Denn die Autohersteller erwarten Henne zufolge, „dass wir sehr kurzfristig auf Bedarfsschwankungen reagieren“.

Keine Aufträge verloren. Gleich zu Beginn der Corona-Krise in China sei dem Edscha-Einkauf schnell klargeworden, dass die Lieferketten in der Volksrepublik aufgrund des staatlich verordneten Lockdowns leerlaufen würden. Henne blickt zurück: „Wir sahen das alles kommen, konnten aber nicht reagieren, weil das gesamte Land wegen der Pandemie abgeriegelt wurde. Alternativen gab es für uns nicht. Denn aufgrund unserer Spezifikationen können wir nicht ohne weiteres auf neue Lieferanten ausweichen und beispielsweise einen Motorhersteller für eine Heckklappe durch einen anderen ersetzen.“

In dem Maße wie sich die Corona-Krise später step by step abschwächte, zog aber auch das Geschäft wieder an. Henne und sein Team erlebten zwar zwei Jahre im Krisenmodus, haben aber in dieser Zeit viel gelernt: „Uns gingen keine Aufträge verloren und wir konnten stets die benötigten Teile beschaffen, so dass bei unseren Kunden kein einziges Mal die Produktionsbänder stillstehen mussten. Wir fanden immer Möglichkeiten, Ersatzbeschaffung zu organisieren und alternative Quellen zu erschließen. In dieser schwierigen Zeit hat uns die erfolgreiche digitale Transformation unseres globalen Einkaufs, das Engagement unserer Beschäftigten und das Vertrauen unserer Kunden sehr geholfen. Dadurch sind wir gestärkt aus der Krise gekommen.“

Globalisierung neu denken. Die weltweite Pandemie hat in weiten Teilen der Politik und Wirtschaft zu einer Diskussion über das Für und Wider einer möglichen Neuausrichtung der Globalisierung geführt. In diesem Zusammenhang verfolgt Edscha neben der Präsenz in vielen Ländern der Erde auch die Strategie des Local for Local – „und das schon lange vor Beginn der Corona-Krise“, meint Henne. Das liege aber auch an der mittelständischen Struktur des Unternehmens. So bemühe sich Edscha, durchaus auch in der Region für die Region zu beschaffen. Mit Blick auf die eigene Fertigungsstruktur war immer die Strategie, in der Region für einen Kunden der Region zu produzieren. Speziell in den vergangenen 50 Jahren hat Edscha seine Internationalisierung vorangetrieben. Ziel war es nicht, billig zu kaufen oder low cost zu fertigen, sondern da zu sein, wo die Kunden sind.

Frank Rösch, BME