KI sorgt für smarte Lieferketten
Aktuelle und zukünftige Krisen machen eine smarte Resilienz in den Lieferketten unerlässlich. Während umfangreiche Absicherungsmaßnahmen wie Redundanzen und Lagerbestände wichtig sind, erweist sich Prävention als die effizienteste Strategie zur Risikominimierung, heißt es in einem gemeinsamen Autorenbeitrag von Prof. Dr. Robert Dust, Vorstandsvorsitzender der BME-Region Berlin Brandenburg und Rektor & Professor für International Technology Transfer Management an der bbw-Hochschule Berlin, und Martin Grastat, Geschäftsführer der TSM Supply Bridge GmbH, Berlin:
Durch die frühzeitige Identifikation und Bewertung von Risiken können zeitnah geeignete Maßnahmen ergriffen und somit aufwendiger Aktionismus vermieden werden.
Die aktuellen Krisen in den Lieferketten haben deutliche Schwächen im Risikomanagement offengelegt. Risiken wie Pandemien, Prozessorengpässe, der Vorfall im Suezkanal und der Ukraine-Konflikt sowie deren Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit konnten mit den bisherigen Risikomanagementmethoden kaum frühzeitig erkannt werden. Weitere Bedrohungen, wie Cyber-Risiken, sind bereits bekannt, während zukünftige Risiken noch unentdeckt in den globalen Lieferketten schlummern.
Zusätzlich stellen gesetzliche Anforderungen wie das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz das Risikomanagement vor neue Herausforderungen. Während bisher eine Konzentration auf die TOP 50 Lieferanten üblich war, muss nun die gesamte Lieferkette präventiv überwacht werden. Doch verfügen die Unternehmen über die notwendigen Methoden und Ressourcen, um smarte Lieferketten zu gestalten und zu steuern?
In den Unternehmen stehen mittlerweile zahlreiche IT-Systeme zur Überwachung von Risiken zur Verfügung. Aber sind die aus diesen Systemen gewonnenen Daten tatsächlich für eine effiziente Risikoprävention geeignet? Werden die großen Datenmengen aus den verschiedenen IT-Systemen systematisch konsolidiert, um ein umfassendes Gesamtbild über alle Lieferanten und Risiken zu erhalten?
Die zunehmende Komplexität der Lieferketten macht eine Überwachung mit traditionellen Methoden wie Punktebewertungen und Ampeldarstellungen unmöglich. Zukünftig können Risikoprävention und Versorgungssicherheit nur durch die systematische Nutzung von Daten und den Einsatz intelligenter Analysemethoden gewährleistet werden.
Künstliche Intelligenz umfasst selbstlernende Systeme, die aus vorhandenen Datenmengen wertvolle Erkenntnisse gewinnen, um Menschen bei der Entscheidungsfindung zu unterstützen. Was bedeutet das für das Lieferantenrisikomanagement? Die KI überwacht die gesamte Lieferantenbasis, identifiziert kritische Lieferanten und stellt die hierfür erforderliche Datenqualität sicher. Aus diesen Daten leitet sie das notwendige Wissen ab, sodass ein Lieferantenlenkungskreis geeignete Verbesserungsmaßnahmen bei den kritischen Lieferanten einleiten kann.
Die KI überwacht – der Mensch entscheidet. Lösungen wie das Total Supplier Management setzen dabei auf fünf spezifische KI-Ansätze, die im Folgenden näher erläutert werden.
1. Datenqualität
Die Grundlage für den erfolgreichen Einsatz von KI-Lösungen ist die Qualität der Daten. Ohne hochwertige und präzise Daten können selbst die besten KI-Systeme nicht effektiv arbeiten. Datenqualität ist daher eine essenzielle Voraussetzung für jede KI-gestützte Risikoprävention. Die Unternehmen müssen sicherstellen, dass ihre Daten vollständig, korrekt und aktuell sind, um die vollen Vorteile der KI nutzen zu können. Dabei bestimmen die zu überwachenden Risiken die erforderlichen Daten und die IT-Systeme, aus denen die Daten stammen. Die Auswahl geeigneter Daten und der aus ihnen resultierenden Kennzahlen bleibt weiterhin eine Aufgabe menschlichen Ermessens. Allerdings müssen die Anforderungen von KI-Lösungen, wie beispielsweise Regeln zur Mustererkennung, bereits beim Design der Kennzahlen berücksichtigt werden.
Moderne KI-Lösungen stellen die Verfügbarkeit und Anwendbarkeit der Daten bzw. Kennzahlen sicher. Logische Data-Checker überwachen die Konsistenz innerhalb der Kennzahlensysteme. So kann beispielsweise bei einer berechneten Claim Quote die Anzahl der Claims nicht gleich Null sein (Abb. 1). Statistische Data-Checker können die Verteilung innerhalb der Datensätze auf Plausibilität prüfen. Formale Data-Checker vermeiden Fehleingaben und sind in modernen IT-Systemen meist bereits integriert.
2. Risikoprävention
Für eine präventive Risikobewertung müssen neben historischen und aktuellen Daten auch zukunftsorientierte Informationen aus Trendanalysen und Prognosen genutzt werden. Durch den Einsatz solcher Trend- und Prognoseberechnungen können Risiken und kritische Lieferanten frühzeitig identifiziert werden, bevor der Aufwand von Korrekturmaßnahmen zu stark zunimmt. In Wachlists werden alle Lieferanten anhand aktueller und prognostizierter Kennzahlen überwacht (Abb. 1). Selbstlernende KI-Lösungen erzielen heute Abweichungen zwischen dem prognostizierten und dem tatsächlichen Zukunftswert von unter fünf Prozent.
Diese Prognosen werden durch Ansätze zur Mustererkennung in den KI-Lösungen ergänzt. Diese spüren Anomalien in den Leistungsdaten der Lieferanten auf. Dadurch können kritische Lieferanten auch dann identifiziert werden, wenn ihre Leistungsdaten stark schwanken und Trend- sowie Prognosealgorithmen versagen würden.
3. Wissensmanagement
Neben den gesetzlichen Anforderungen erfordert auch die wachsende Vielfalt der Risiken eine Überwachung der gesamten Lieferantenbasis. Dies erhöht die Komplexität der Lieferantenbewertung erheblich. In diesen Prozess sind verschiedene Fachbereiche des Unternehmens eingebunden, um ein effektives Lieferantenrisikomanagement zu gewährleisten. Eine zentrale Aufgabe von KI-Lösungen besteht darin, sämtliche Daten entlang der Lieferketten zu konsolidieren – das bedeutet alle Informationen zu Lieferanten, Risiken und den verschiedenen Fachbereichen des Unternehmens zusammenzuführen.
Das Ziel der KI-Lösung ist hier die Generierung von Wissen, indem alle erforderlichen Informationen über einen kritischen Lieferanten aufbereitet vorliegen, damit Entscheidungsträger über geeignete Maßnahmen entscheiden können. In Abbildung 2 ist eine Konsolidierungsmatrix dargestellt, die anhand der aktuellen Leistung der Lieferanten und ihrer Trends auf kritische Lieferanten hinweist. Durch Auswahl eines bestimmten Lieferanten öffnet sich die Lieferantenakte, in der alle erforderlichen Informationen für die Einleitung weiterer Maßnahmen bereitstehen.
4. Lieferantenentwicklung
In der Lieferantenentwicklung kommen neben den unternehmensinternen Daten und Kennzahlen weitere Informationen seitens der Lieferanten hinzu. Traditionelle Ansätze und Werkzeuge der Lieferantenentwicklung stützen sich dabei auf umfangreiche Fragebögen und Listen von Maßnahmen. Durch KI-Lösungen wird es nun möglich, risikospezifische Eskalationsmodelle und individualisierte Analysemethoden einzusetzen. So können in Verbesserungsprojekten die Maßnahmen wesentlich gezielter definiert und schneller sowie nachhaltiger umgesetzt werden.
Dazu entwickeln KI-Systeme aus bereits durchgeführten Projekten wertvolles Wissen zur Optimierung der Lieferantenbasis. Sie analysieren erfolgreich umgesetzte Maßnahmen und identifizieren Muster, um proaktive Handlungsempfehlungen anzubieten. Hierzu zählen Maßnahmen, die bei ähnlichen Problemen oder Risiken bereist am erfolgreichsten waren. Dies führt zu einer stetigen Verbesserung der Lieferantenentwicklung und trägt zur Schaffung von robusten und widerstandsfähigen Lieferkette bei.
5. Lessons Learned
Ein Großteil der Lieferantendefizite resultiert aus unzureichenden Vorleistungen des eigenen Unternehmens gegenüber Lieferanten. Hierzu zählen beispielsweise unvollständige Spezifikationen, ein sehr dynamisches Abrufverhalten oder auch fehlende Umlaufbehälter. Oft sind sich die Unternehmen dieser Defizite nicht bewusst.
Die Defizite lassen sich durch eine systematische Analyse der Verbesserungsprojekte, die bei kritischen Lieferanten durchgeführt wurden, identifizieren. KI-Lösungen ermöglichen eine Auswertung der verschiedenen Maßnahmenlisten, um Häufungen von Defiziten zu erkennen und Einzelfälle auszuschließen.
KI-Lösungen nutzen die Erkenntnisse aus den Projekten, um die Prozesse im Lieferantenmanagement kontinuierlich zu verbessern. Durch die Optimierung der Schnittstellen zwischen Unternehmen und Lieferanten lassen sich systematisch Vorteile in Bezug auf Prozesse und Kosten erzielen, wie etwa die Optimierung der Abrufsystematik. Dies birgt ein enormes Potenzial zur Optimierung des eigenen Lieferantenmanagements und zur Reduktion der damit verbundenen Prozesskosten.
Mehrwert
Im Lieferantenmanagement herrscht häufig eine Vielzahl von Insellösungen vor, die auf einer historisch gewachsenen IT-Landschaft und der Nutzung von Tabellenkalkulationsprogrammen basieren. Ein durchgängiger Workflow, der Risikoprävention, Wissensmanagement, Lieferantenentwicklung und Lessons Learned umfasst, fehlt in den meisten Unternehmen.
Im Lieferantenmanagement sind zahlreiche Daten und Exceltabellen verfügbar. Allerdings fehlt oft eine Konsolidierung dieser Daten, um jederzeit ein umfassendes Bild über alle Lieferanten und damit verbundene Risiken zu erhalten.
Zudem wird das Risikomanagement oft primär als Kostenfaktor betrachtet, was leider dazu führt, dass eine Umstellung auf ein präventives und nachhaltiges Lieferantenmanagement allzu häufig ausbleibt. Der damit verbundene Nutzen wird nicht erkannt, wodurch das Risikomanagement überwiegend reaktiv bleibt.
Durch ein reaktives Vorgehen und das Fehlen einheitlicher Standards entstehen häufig Diskussionen über Zuständigkeiten und ineffizienten Aktionismus. Angesichts zunehmender Risiken und eines Fachkräftemangels ist eine Weiterentwicklung des Risikomanagements hin zu präventiven Maßnahmen dringend erforderlich, um eine wesentlich höhere Effizienz zu erzielen. Es ist entscheidend, dass der Nutzen des Risikomanagements umfassend erkannt wird.
KI-Lösungen bieten hierbei erhebliche Vorteile für die Effizienz. Sie ermöglichen eine automatisierte und kontinuierliche Überwachung der Lieferketten, wodurch menschliche Fehler minimiert und zeitaufwendige manuelle Prozesse reduziert werden. Durch die präzise und schnelle Datenanalyse können Risiken frühzeitig erkannt und Maßnahmen schneller eingeleitet werden. Zudem fördern KI-Systeme die Entscheidungsfindung durch die Bereitstellung detaillierter Einblicke und prognostischer Analysen, die auf umfangreichen Daten basieren.
Dies führt zu einer besseren Ressourcennutzung, da weniger Zeit für die Datenaufbereitung und mehr Zeit für strategische Entscheidungen zur Verfügung steht. Die KI unterstützt außerdem bei der Standardisierung von Prozessen und schafft so eine einheitliche Basis für das Risikomanagement, wodurch interne Abstimmungen effizienter und zielgerichteter ablaufen können. Insgesamt tragen KI-Lösungen dazu bei, die Agilität und Reaktionsfähigkeit des Unternehmens zu steigern, was in einem zunehmend komplexen und dynamischen Marktumfeld von entscheidender Bedeutung ist.
Der Ansatz Total Supplier Management (TSM) umfasst eine KI-gestützte Überwachung der gesamten Lieferantenbasis, frühzeitiges Eingreifen durch Risikoprävention und eine abgestimmte Vorgehensweise über verschiedene Fachbereiche hinweg. Dies führt zu smarten Lieferketten mit einer signifikanten Reduktion der prozess- und fehlerspezifischen Kosten bei Lieferanten. Diese Kostensenkung hat einen erheblichen Einfluss auf den Gesamterfolg des Unternehmens (Abb. 3).
Für weitere Informationen: Prof. Dr. Robert Dust, E-Mail: robert.dust@bme-regionen.de