Vergaberecht: Die Ampel steht auf – ja, was eigentlich?
Zum Vergaberecht finden sich explizit immerhin elfeinhalb Zeilen in dem Werk. „Wir wollen die öffentlichen Vergabeverfahren vereinfachen, professionalisieren, digitalisieren und beschleunigen“, heißt es da. Und weiter: „Die Bundesregierung wird die öffentliche Beschaffung und Vergabe wirtschaftlich, sozial, ökologisch und innovativ ausrichten und die Verbindlichkeit stärken, ohne dabei die Rechtssicherheit von Vergabeentscheidungen zu gefährden oder die Zugangshürden für den Mittelstand zu erhöhen.“ Die öffentliche Hand soll sich des Weiteren am Aufbau eines Systems zur Berechnung von Klima und Umweltkosten beteiligen. Außerdem sollen Vorgaben des europäischen Vergaberechts im nationalen Vergaberecht präzisiert werden. An welche Aspekte die Verhandler dabei genau gedacht haben, ist unbekannt. Noch interessanter wird es ab Zeile 1038: Die Koalitionäre wollen eine anwenderfreundliche zentrale Plattform schaffen, über die alle öffentlichen Vergaben zugänglich sind und die eine Präqualifizierung der Unternehmen ermöglicht. „Eine solche zentrale An[1]laufstelle wäre sicherlich in der Praxis eine Erleichterung insbesondere für Bieter“, glaubt Dr. Annette Rosenkötter , Fachanwältin für Vergaberecht bei der Kanzlei FPS. Allerdings seien ähnlich gelagerte Bestrebungen bisher nicht erfolgreich gewesen.
Mehr Sichtbarkeit für KMU
Des Weiteren sollen Länder und Kommunen bei der Vereinfachung, Digitalisierung und Nachhaltigkeit von Vergabeverfahren unterstützt werden. Außerdem sollen die Beteiligungsmöglichkeiten von kleinen und mittleren Betrieben an Vergabeverfahren gestärkt werden. Wie und wann das alles geschehen soll, bleibt offen. Während es in anderen Themenfeldern teilweise schon recht konkrete Vorstellungen gibt, bleibt der Vertrag hier noch im Vagen. Das Kapitel beschränke sich auf Absichtserklärungen, moniert auch Professor Dr. Angela Dageförde , ebenfalls Fachanwältin für Vergaberecht: „Es bleibt abzuwarten, mit welchen konkreten Maßnahmen und in welcher Intensität die künftige Bundesregierung diese Ab[1]sichtserklärungen – insbesondere auch hinsichtlich der Vereinfachung des Vergabeverfahrens – umsetzen wird.“ Ebenfalls unklar sei hinsichtlich der angestrebten Verbindlichkeiten, inwiefern dadurch die bisherige Freiheit der Vergabestellen eingeschränkt werde, so Dageförde weiter. Vereinzelt finden sich auch an anderen Stellen des Koalitionsvertrages interessante Aussagen zu Beschaffungsmärkten. Wer aber eventuell gehofft hat, dass das Lieferkettengesetz von der Ampel wieder eingefangen wird, sieht sich enttäuscht. Zu erwarten war das ohnehin nicht. Es soll unverändert umgesetzt und gegebenenfalls verbessert werden. „Unterstützt“ werden soll außerdem der Vorschlag der EU-Kommission zu einem Gesetz für entwaldungsfreie Lieferketten, ebenso wie das von der EU vorgeschlagene Importverbot von Produkten aus Zwangsarbeit.
Stärkung der Tarifbindung
Recht konkret ist dagegen die Aussage, dass die öffentliche Auftragsvergabe des Bundes an die Einhaltung eines repräsentativen Tarifvertrages der jeweiligen Branche gebunden werden soll. Die Vergabe soll auf einer einfachen, unbürokratischen Erklärung beruhen. „In vielen Bundesländern sind ähnliche Verpflichtungserklärungen bereits Standard“, berichtet Rosenkötter. Sie verweist zudem auf einen weiteren Passus an anderer Stelle, nach der die öffentliche Auftragsvergabe im Bereich der Wirtschaftsprüfung zur Belebung der Marktverhältnisse genutzt werden soll. Damit scheine eine größere Unabhängigkeit von wenigen großen externen Beratern angestrebt zu werden. Dr. Daniel Soudry , Fachanwalt für Vergaberecht bei der Sozietät Soudry & Soudry, weist auf weitere vergaberechtliche Aspekte im Koalitionsvertrag hin. So sollen Zertifizierungen wie zum Beispiel der „Blaue Engel“ Standard für IT-Beschaffungen des Bundes werden. Des Weiteren will man über Mindestquoten in der öffentlichen Beschaffung sichere Absatzmärkte für klimafreundliche Produkte entwickeln. Ebenso sollen Quoten für grünen Wasserstoff in der öffentlichen Beschaffung eingeführt werden, „um Leitmärkte zu schaffen“. Wer im Schiffsbau tätig ist, wird sich über die Ankündigung freuen, dass Vergabeverfahren auch dort beschleunigt werden sollen. Der Marine-Unter- und Überwasserschiffbau sowie der Behörden- und Forschungsschiffbau sowie ihre Instandhaltung soll außerdem als Schlüsseltechnologie definiert werden.
Fazit: Mal sehen…
Machen ist wie wollen, nur krasser“, sagt der Volksmmund. Niemand kann erwarten, dass die Ampel-Koalitionäre schon in den ersten Wochen einen ausführlichen Regierungsplan in petto haben. Es stellt sich aber schon die Frage, wie das 177-seitige Wunschkonzert – und das ist nicht despektierlich gemeint – in (zunächst) vier Jahren konkret umgesetzt und finanziert werden soll. Aus Einkäufer-Perspektive finden sich im Koalitionsvertrag einige vielversprechende Aspekte, zu früh freuen sollten sie sich aber nicht. Quelle: BME rmr Info Nr. 89 Weiterführende Informationen über die Aktivitäten und kommenden Veranstaltungen des BME rmr finden Sie unter: https://rheinmain.bme.de