„Verbände spielen ganz andere Rolle als vor der Krise“
Herr Voigt, Sie haben jüngst in einem Interview mit dem Branchenblatt „PR Report“ explizit Verbände für ihre kommunikative Arbeit in der Corona-Krise gelobt. Woher kam diese Erkenntnis? Thomas Voigt: Die Corona-Pandemie ist eine Jahrhundert-Ausnahmesituation. Wie in jeder Krise hat die Exekutive das Mandat, diese zu bekämpfen. Damit meine ich in erster Linie natürlich die Politik, aber auch Gewerkschaften und Verbände spielen eine wichtige Rolle. Ein fester Kreis an Entscheidungsträgern verschiedener Institutionen, die diesen Prozess steuern und aufgrund ihrer Relevanz kommunikativ in Erscheinung treten. In diesem Zusammenhang erlebe ich die meisten Verbände aktuell als starkes Sprachrohr in die Mitgliedschaft hinein und gegenüber der Öffentlichkeit. Sie spielen eine ganz andere Rolle als vor der Krise. Die Arbeit und damit verbunden die Kommunikation von Verbänden als zentraler Parameter in der Bekämpfung der Krise also? Momentan wird von einigen Verbänden sogar fast noch eine bessere kommunikative Arbeit geleistet als von der Politik. Das gibt Hoffnung, dass ein Stück dieser Kompetenz, aber auch der kommunikativen Bedeutung der Verbände auch für die Zeit nach der Krise bewahrt wird. Dabei haben Sie lange die These vertreten, dass Verbände „kommunikativ in der Bedeutungslosigkeit versinken werden“. Das ist eine Ansicht, die Sie vor allem den vielen Kommunikatoren in Verbänden erklären müssen. Das hat mit der Konstruktion öffentlicher Meinung zu tun. Früher wurden die großen wirtschaftlichen und sozialen Fragen auf der Bühne weniger Medien öffentlich inszeniert. Dabei war die Rolle der Verbände, vor allem der Industrie- und Arbeitgeberverbände, gesetzt. Heute wird die öffentliche Meinung durch viele Player auf ganz verschiedenen Medienplattformen bis hin zu Social Media definiert. In dieser Entwicklung haben die Verbände in Deutschland stufenweise eine immer geringere Rolle gespielt, weil sie die Breite gar nicht mehr erreichten und wohl auch gar nicht erreichen wollten. Spätestens seit der Wirtschaftskrise 2008/09 tauchten Verbände in den relevanten Kommunikationsarenen gar nicht mehr auf. Warum? Mein Eindruck ist, weil sie nicht mehr auf die Themen der breiten Öffentlichkeit referenziert haben. Die Rolle der Verbände hatte sich reduziert auf das klassische Lobbying. Dabei reagieren die Politiker schon längst auf ein Meinungsbild, was sich ganz woanders bildet. Diese Entwicklung hatten Verbände nach meiner Beobachtung völlig außer Acht gelassen. Auch gute Brancheninitiativen wie die „Neue Soziale Marktwirtschaft“ verschenken Potenzial. Aber Verbände haben doch wie Unternehmen auch kommunikative Ziele bzw. Aufträge. Waren die einfach nur schlecht justiert? Das ist immer eine Frage, wie man Erfolg definiert und misst. Wenn die KPIs von Verbandsvertretern – und das war mein Eindruck in den letzten Jahrzehnten – darin liegen, wie oft ich mich mit wem in der politischen Liga treffe, dann mag das bedeutend sein. Politische Entscheidungsträger werden allerdings maßgeblich von der veröffentlichen Meinung getrieben und wenn ich mir ansehe, wie bestimmte NGOs, die Medien oder sogar seltsame Querdenker in der Lage sind, Agenden in diesem Land zu setzen, dann ist für die wirtschaftlichen Interessensvertreter deutlich Luft nach oben. Sie befürchten durch die Corona-Krise einen „Machtzuwachs für Politik, NGOs und die veröffentlichte Meinung“. Was meinen Sie damit? In der Corona-Krise werden viele öffentliche Gelder für den Erhalt einzelner Unternehmen, Branchen und wirtschaftlicher Strukturen eingesetzt. Daraus entsteht bereits heute das sichtbare Narrativ „Wenn der Steuerzahler die Wirtschaft rettet, können die Politiker auch bestimmen, was in der Wirtschaft geschieht“. Daraus resultieren Forderungen an die Wirtschaft, die wir heute schon spüren – etwa wenn es darum geht, Veränderungs- oder Restrukturierungsprozesse in Unternehmen einzuleiten, bei denen Mitarbeiter betroffen sind. Diese Aktionen stehen schnell unter Generalverdacht, sie seien unsolidarisch. Der Fall Adidas im Frühjahr oder der Fall Haribo im Herbst stehen exemplarisch dafür. Auch die Neigung von Politikern, irgendetwas retten zu wollen wie zuletzt die Innenstädte und dabei so tun, als sei die öffentliche Hand der bessere Unternehmer, ist beachtlich. Wir müssen alle gemeinsam darauf achten, dass die unternehmerische Freiheit nicht unter die Räder gerät. Die Unternehmer sind die einzigen, die den wirtschaftlichen Karren später aus dem Dreck ziehen können. Manager und Konzerne haben aber nicht das beste Image. Jahrelang haben die Unternehmer und Manager sich in den öffentlichen Arenen der Republik entweder selbst als unfehlbar dargestellt. Oder, als es nach der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 eng wurde, gar nicht mehr an die Öffentlichkeit getraut. Bei allem Respekt, aber wirtschaftliche Themen öffentlich Herrn Grupp zu überlassen, ist zu wenig. Auch meine PR-Kolleg*innen haben sich über Jahre einen schlanken Fuß gemacht. Das meine ich durchaus selbstkritisch. Die Öffentlichkeit verlangt nach Einschätzungen aus der Wirtschaft. Da müssen wir dringend gegensteuern. Kritik also am eigenen Berufsstand – und an den Medien? Medienschelte ist billig. Wir brauchen natürlich eine Medienlandschaft, die auch kritisch über Unternehmen berichtet – die ist sogar Lebenselixier, weil darin immer auch Veränderungspotenziale für das eigene Unternehmen schlummern. Worum ich mir eher Sorgen mache ist, dass aus der Pandemie heraus nun Forderungen der Öffentlichkeit an die Wirtschaft herangetragen werden, die diese gar nicht erfüllen kann. Viele Unternehmen werden die Pandemie nicht überleben, viele werden sich radikal ändern müssen, viele werden Mitarbeiter entlassen müssen. Der moralische Pranger der Öffentlichkeit und der Medien wird da nicht hilfreich sein. Die großen Debatten kommen also erst noch? Oh ja, wir werden die hohe Zeit der Moralisierung der Märkte haben. Viele Unternehmen, vor allem auch Mittelständler, werden sich wundern, was da noch für Forderungen auf sie zukommen. Darin liegen Chancen auf Veränderung, auch Marktchancen. Darin liegen aber auch hohe Risiken. Da kann man nur jedem Unternehmer raten: Macht euch dringend heute schon Gedanken um Kommunikation! Zieht im Zweifel Experten dazu, die euch für solche Diskussionen wappnen. Wie kann zur Bewältigung dieser Herausforderungen die Verbandskommunikation die Unternehmenskommunikation unterstützen? Positiv an Corona ist, dass diese Pandemie alle gesellschaftlichen Kräfte zusammenschweißt und zum gegenseitigen Zuhören zwingt. Das ist auch eine gute Nachricht für die Verbände, wenn es darum geht, Interessen auszugleichen. Es wird eine ganz andere Art von Kollaboration geben, in der wir einerseits vielleicht demütiger, andererseits aber auch mutiger werden. Das kann eine gemeinsame Zukunft werden, in der am Ende keiner mehr fragt, ob das eine jetzt aus dem Verband und das andere aus einem Unternehmen kommt. Man wird die Dinge gemeinschaftlich vorantreiben. Wenn der Austausch von Wert ist, wird sich auch die Frage nach der Existenz eines Verbands seltener stellen. Darin liegt eine große Chance für alle. Wovon wird es abhängen, ob diese Chance genutzt wird und ob die wiedererlangte kommunikative Stärke der Verbände, die Sie beschrieben haben, auch nachhaltig bleibt und nicht nur auf ihre Rolle in der Krise beschränkt ist? Ein Sound von Corona ist Gesundheit. Es wird also erstens davon abhängen, welche Wertbeiträge die Verbände und die Unternehmen für dieses zentrale Thema liefern können. Ein weiterer Sound von Corona ist das Gemeinwohl: Welche Beiträge zum Gemeinwohl können die Unternehmen, die ein Verband vertritt, leisten? Und das dritte Thema betrifft die wirtschaftliche Freiheit, die ich geschildert hatte. Es werden jene Verbände gestärkt hervorgehen, die es in den kommenden Jahren verstehen, freiheitlichen Aspekte wirtschaftlichen Handelns Hand in Hand mit ihren Verbandsmitgliedern nach vorne zu stellen und in die Öffentlichkeit zu tragen. Das Gespräch führte Tobias Anslinger, BME Zur Person: Der Kommunikationsprofi Thomas Voigt (61) ist seit 2004 ist er für die Wirtschaftspolitik und die Unternehmenskommunikation des internationalen Handels- und Dienstleistungsunternehmens Otto Group in Hamburg verantwortlich. Bevor er in die Unternehmenskommunikation wechselte, war Voigt viele Jahre als Wirtschaftsjournalist tätig, unter anderem für die Marketing-Branchenmedien „w&v“ und „Horizont“ und zuletzt als Chefredakteur beim Unternehmermagazin „Impulse“. Seine Arbeit wurde mehrfach ausgezeichnet.