„Materialengpässe in unseren Unternehmen halten an“
Die deutschen Unternehmen kämpfen gegenwärtig mit den gleichen Herausforderungen. „Die Störfaktoren und Krisenherde reichen von Covid-19-Pandemie und daraus resultierendem Mangel an Rohstoffen und Produktionsmaterialien bis hin zum Krieg Russlands gegen die Ukraine“, betonte Prof. Dr. Florian C. Kleemann von der Hochschule München am 10. März auf der hybrid durchgeführten Jahresauftaktveranstaltung der BME-Region Südbayern in der bayrischen Landeshauptstadt. Insgesamt mehr als 60 Einkäufer:innen folgten online und vor Ort einer hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion in der Spaten-Franziskaner-Brauerei zum Thema „(Chip-)Engpässe & kein Ende!?“ Namhafte Vertreter von Infineon, Giesecke + Devrient sowie von Nokia und BMW plauderten in lockerer Runde rund 90 Minuten aus ihren unternehmerischen Nähkästchen. Zuvor hatte der langjährige Regionsvorstandsvorsitzende Johann Zeller seine Gäste begrüßt und unter anderem informiert, dass er aus Altersgründen nicht mehr an den bevorstehenden Vorstandswahlen teilnehmen werde. „Die Halbleiterkrise beschäftigt uns nach wie vor massiv. Jetzt kommt der Ukraine-Konflikt dazu“, sagte Stefan Zangerle , Vice President Strategy Purchasing and Supplier Network der BMW Group, in seinem Statement. „Gegenwärtig produzieren die Lieferanten in der Ukraine noch für uns weiter. Wir kriegen die Waren auch über die Grenze“, fügte Zangerle hinzu. In Russland habe BMW nur wenige Lieferanten. Allerdings seien die von dort kommenden Rohstoffmengen für das DAX-Unternehmen von großer Bedeutung. Allein bei Palladium belege Russland hinter Südafrika mit einem Anteil von 38 Prozent weltweit Platz zwei unter den Förderländern. Das begehrte Industriemetall werde von der Automobilbranche in großen Mengen für die Katalysatoren-Produktion genutzt. BMW benötige aus Russland aber auch Edelgase wie Neon und Argon, die als Hilfs- und Betriebsstoffe genutzt werden. Auch Ruß für die Kautschukindustrie werde jetzt zu einem knappen Gut. „Bei uns begannen die Herausforderungen in der Materialbereitstellung mit dem Einsetzen der Covid-Krise vor rund zwei Jahren. Es kam in der Folgezeit zu Lieferverzögerungen, insbesondere bei der Logistik aus Asien“, erläuterte Jens Lässig , Vice President Supply Chain Management der Nokia Networks GmbH. Nokia verfüge über eine internationale Supply Chain mit mehreren Standorten rund um den Globus. Die Pandemie mit ihren Folgen für Homeoffice und Videokonferenzen ließ die Netze hochlaufen und habe zu einem massiven Anstieg der Kommunikation geführt. Die Folge waren viele nichtgeplante Bedarfe europäischer Nokia-Kunden. „Auch wir hatten durch den globalen Demand-Anstieg mit Engpässen, insbesondere bei Halbleiterchips, zu kämpfen“, blickte Lässig zurück. Er habe in den vergangenen 20 Jahren „viele Krisen in den Lieferketten erlebt, einschließlich zahlreicher Verwerfungen durch falsche Planungen, aber auch Materialknappheiten. Jedoch ist die aktuelle Dimension eine ganz andere“, betonte Lässig. Er habe das „entwickelte Gefühl für Supply-Chain-Steuerung über Bord werfen müssen, weil es aufgrund der sich dramatisch veränderten Rahmenbedingungen nicht mehr gültig“ sei. Vor allem der Mangel an Halbleitern erforderte eine neue Qualität des Risikomanagements bei Nokia. „Wie in vielen anderen Unternehmen stellte der Beginn der Corona-Krise auch für uns einen tiefen Einschnitt dar. Unsere größte ausländische Produktionsstätte befindet sich im Chinesischen Huangshi. Auch dort waren Teile der Belegschaft von der Pandemie betroffen“, so Kai Dittberner , Global Vice President Purchasing der Giesecke+Devrient GmbH. Später sei das Virus auch an den deutschen Standort gekommen. Zu diesem Zeitpunkt sei die Firmeneinschätzung gewesen, dass der „Halbleitermangel noch weit weg“ sei. Anders als in der Autoindustrie „gibt es bei uns kein just-in-sequence und kein just-in-time“. Von Vorteil waren auch die „relativ üppigen Lagerbestände in der Größenordnung von zwei Monaten“. Das habe sich später dramatisch verändert. Die sich fortsetzende Materialknappheit sei auch für die 18 weltweiten Giesecke+Devrient-Standorte immer mehr zum Problem geworden. „Wir haben auf diese Engpässe „mit einer bisher bei uns unbekannten starken Verzahnung zwischen Supply Chain und Beschaffung sowie mit dem Einbringen von viel stärkeren IT-Tools reagiert. Damit konnte mein Bereich auf Knopfdruck weitaus schneller als bisher Auskunft über die aktuelle Bestandssituation geben. Dennoch schlägt jedes kleine Zucken in der Lieferkette eins zu eins bei uns durch.“ „Die Corona-Krise, der 5G-Rollout sowie geopolitische Verwerfungen haben seit Herbst 2020 zu einem dramatischen Anstieg der Nachfrage nach Halbleiterprodukten geführt. Und das über dem zu planenden Level“, erläuterte Dr. Karl Breidenbach , Senior Director Procurement Production Partner – Business Development der Infineon Technologies AG, des größten Chipherstellers Deutschlands. Von den genannten Störfaktoren seien auch viele „unserer Auftragsfertiger und Lieferanten betroffen“, fügte Breidenbach hinzu. Neben der Neuausrichtung der Beschaffungs- und Distributionskanäle des börsennotierten Unternehmens, arbeitet die Halbleiterindustrie an Lösungen strukturelle Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage in verschiedenen Segmenten zu bewältigen. Diese sind kurzfristig vor allem auf einen Kapazitätsaufbau in den fortschrittlichsten Halbleitersegmenten in den letzten Jahren zurückzuführen, während heute sehr gefragte Chips mit älteren Strukturbreiten auf eine begrenzte Produktionsbasis bei den größten Auftragsfertigern zurückgreifen können. Breidenbach wies mit Blick auf die anhaltende Corona-Krise auch auf die wachsende Bedeutung durchgängig sichtbarer Lieferketten hin. Dazu gehöre eine starke Kommunikation mit „unseren Abnehmern, um frühzeitig Demand-Schwankungen abzusehen und gemeinsam zu planen“. Der enge Austausch erstrecke sich vom Endkunden bis zum Einkauf und weiter in der Wertschöpfungskette bis hin zu Auftragsfertigern und Materiallieferanten. *Von der hybrid durchgeführten Jahresauftaktveranstaltung der BME-Region Südbayern berichtete Frank Rösch , BME