Erneuter Corona-Winter bremst Wirtschaft aus
Das Konjunkturbarometer des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) fällt im November unter die 100-Punkte-Marke. 97 Punkte für das vierte Quartal dieses Jahres sind der niedrigste Quartalswert seit dem zweiten Vierteljahr 2020. Die Wirtschaftsleistung in Deutschland dürfte zum Jahresende 2021 leicht schrumpfen. „Die Lieferengpässe halten an und drosseln auch im Schlussquartal die Industrieproduktion“, sagt Simon Junker , DIW-Experte für die Konjunktur in Deutschland. „Hinzu kommt, dass die Sorgen in Zusammenhang mit der vierten Corona-Welle stark zugenommen haben und auch wieder viele kontaktintensive Dienstleister, etwa das Gastgewerbe, treffen. Zudem trübt die neue Variante des Corona-Virus aus Südafrika die Hoffnung auf schnelle Besserung“, so Junker. Dennoch werde der wirtschaftliche Schaden wohl nicht so verheerend ausfallen wie im vergangenen Winter, dank der Impfungen und weil viele Unternehmen sich auf einen Geschäftsbetrieb unter Pandemiebedingungen eingestellt haben. Das Risiko spürbarerer Rückschläge steige mit dem aufkeimenden Infektionsgeschehen allerdings täglich. So oder so dürfte der neuerliche Corona-Winter auch auf dem Arbeitsmarkt Spuren hinterlassen: Der Beschäftigungsaufbau werde wohl merklich ausgebremst und der zuletzt rasche Abbau der Kurzarbeit dürfte vorerst zum Erliegen kommen, geht aus der DIW-Pressemitteilung weiter hervor. Die zunehmenden Knappheiten bei vielen Gütern fachten indes die Inflation vorübergehend noch an. Bis Jahresende verbleibe die Rate bei etwa fünf Prozent, bereits mit dem Jahreswechsel lasse der Preisdruck aber nach: In den Vorjahresvergleich rücke mit dem Januar 2021 wieder ein Monat, in dem die Mehrwertsteuer regulär bei 19 Prozent lag. Die Verzerrung der Inflationsrate durch die Mehrwertsteuersenkung in der zweiten Jahreshälfte 2020 verschwinde dann und die Inflationsrate falle knapp einen Prozentpunkt niedriger aus, heißt es abschließend.
KfW-Konjunkturkompass: Wirtschaft vor schwierigem Winter
Aufholeffekte bei den kontaktintensiven Dienstleistungen sorgten nach Einschätzung der KfW trotz hartnäckiger Angebotsengpässe in der Industrie für ein kräftiges deutsches Wachstum von 1,7 Prozent im dritten Quartal. Doch nun stehe der Wirtschaft ein schwieriger Winter bevor: Der steile Energiepreisanstieg dämpfe die private Kaufkraft und belaste die Unternehmen kostenseitig. Gleichzeitig halten sich die Materialengpässe bei Rohstoffen und Vorprodukten sowie die Störungen im globalen Transportsystem hartnäckig, teilt die KfW mit. Angesichts unzureichender Impffortschritte türme sich zu alledem die vierte Welle der Corona-Neuinfektionen mit Beginn der kalten Jahreszeit auf immer neue Höchststände auf. Regeln zur Eindämmung und eine freiwillige Zurückhaltung beim sozialen Konsum aus Angst vor Ansteckungen dürften die Umsätze vieler Unternehmen im kontaktintensiven Dienstleistungsbereich sowie im stationären Einzelhandel nun wieder belasten. In der Folge werde die Wirtschaft im begonnenen Winterhalbjahr 2021/2022 kaum über eine Stagnation hinauskommen, vorübergehend kann sie sogar etwas schrumpfen. Bei mehr oder weniger gleichzeitiger Entspannung bei Materialengpässen und Pandemielage werde es dann ab dem Frühling 2022 aber zu einem kräftigen Schub beim Quartalswachstum kommen. Für das kommende Jahr erwartet KfW Research mit 4,4 Prozent (Vorprognose: 4,2 Prozent) ein deutlich höheres Wirtschaftswachstum als 2021 mit 2,6 Prozent (Vorprognose: 3,0 Prozent; alle Raten preisbereinigt). „Ein Teil des Wachstums verlagert sich in das kommende Jahr und das deutsche Bruttoinlandsprodukt bleibt in diesem Jahr noch leicht, um gut ein Prozent, hinter dem Vorkrisenniveau im vierten Quartal 2019 zurück“, sagte Dr. Fritzi Köhler-Geib , Chefvolkswirtin der KfW beim Pressegespräch zum Konjunkturausblick 2022 in Frankfurt. „Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben: Ihr Vorkrisenniveau wird die deutsche Wirtschaft im zweiten Quartal 2022 übertreffen – und zwar recht schnell und deutlich, sobald sich die hemmenden Faktoren lösen.“ Die Schere zwischen Nachfrage und Angebot in der Industrie habe sich seit Mitte 2020 immer weiter geöffnet: Aktuell sei der monatliche Eingang an neuen Aufträgen im Verarbeitenden Gewerbe knapp neun Prozent höher als im Februar 2020, dem letzten Monat vor Beginn der coronabedingten Einschränkungen. Demgegenüber falle die Produktion infolge der gravierenden Materialengpässe immer weiter zurück und liege inzwischen um gut elf Prozent unter dem Vorkrisenniveau. Der seit Januar 2015 erhobene Bestand an unerledigten Aufträgen im Verarbeitenden Gewerbe wachse deshalb schon seit Anfang 2021 im Monatsrhythmus auf immer neue Rekordstände an. „Mit dem Abarbeiten dieses enormen Auftragsstaus ist im Verlauf von 2022 ein neuer Wachstumsschub absehbar, sobald die Materialknappheiten nachlassen“, erläuterte Köhler-Geib. Mit der Eindämmung der vierten Welle der Pandemie werde zudem die Konsumnachfrage im Verlauf von 2022 wieder anziehen, zumal die privaten Haushalte über erhebliche Überersparnisse verfügen würden, mit denen sie auch energiepreisbedingte Kaufkraftverluste zumindest abfedern könnten. So habe die Sparquote vom ersten Quartal 2020 bis zum dritten Quartal 2021 im Schnitt um 5,8 Prozentpunkte über dem Durchschnitt der zehn Jahre zuvor gelegen, was einer Überersparnis von zusammengenommen 208 Mrd. EUR oder 6,2 Prozent des BIP im Jahr 2020 entspreche. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Eurozone wuchs laut KfW-Angaben im dritten Quartal 2021 mit 2,2 Prozent gegenüber dem Vorquartal noch kräftiger als das deutsche BIP. Das starke Comeback der Dienstleistungen – vor allem des Gastgewerbes und anderer kontaktintensiver Branchen wie etwa Veranstaltungen – gab der Wirtschaftsleistung der Eurozone einen kräftigen Schub. Zugleich belasteten die Materialengpässe die Produktion weniger als in Deutschland mit seinem überdurchschnittlich hohen Industrieanteil einschließlich der besonders unter dem Chipmangel leidenden Autoindustrie. Für die Eurozone insgesamt sei das Vorkrisenniveau zum Greifen nah, es fehlen noch 0,5 Prozent. Die weitere Erholung werde von einer unguten Kombination aus der rapiden Verteuerung von Energie, anhaltenden Materialengpässen und lokalen Infektionswellen unterschiedlicher Stärke ausgebremst. In Südeuropa erscheine die Pandemielage relativ stabil und dank hoher Impfquoten gut beherrschbar. Hingegen sei die Dynamik der Fallzahlen in Deutschland und weiteren Ländern vor allem Nord-, Mittel- und Osteuropas hoch. Verschärfungen der Maßnahmen könnten hier den sozialen Konsum über den Winter wieder etwas schrumpfen lassen. Das Quartalswachstum in der Eurozone werde deshalb kurzfristig verflachen, bevor es bei verbesserter Pandemielage und rückläufigen Materialengpässen ab dem kommenden Frühling wieder Fahrt aufnehme. Unterm Strich erwartet KfW Research für die Eurozone im Jahr 2021 ein BIP-Wachstum von 5,0 Prozent (Vorprognose: +4,7 Prozent; technisch begründete Aufwärtsrevision infolge Aktualisierung vergangenheitsbezogener BIP-Daten durch Eurostat). 2022 dürfte das Wirtschaftswachstum 4,2 Prozent (Vorprognose: 4,3 Prozent) erreichen. Die Corona-Pandemie sei weiterhin das zentrale Risiko für die Konjunktur, wie die neu entdeckte Virusvariante Omikron augenfällig unterstreiche. Köhler-Geib: „Das deutsche Wachstum könnte 2022 zwischen 2,5 und 4 Prozentpunkte niedriger ausfallen als von uns vorhergesagt, falls wieder scharfe Eindämmungsmaßnahmen wie pauschale Lockdowns ergriffen werden müssten und sich im ungünstigsten Fall zudem die Industrieerholung wegen erneuter globaler Angebotsengpässe weiter in die Zukunft verschöbe.“ Allerdings sei gegenwärtig völlig unklar, ob Omikron tatsächlich ansteckender oder im Krankheitsverlauf schwerwiegender ist. Bislang unbeantwortet sei zudem die Frage, ob die bisherigen Impfstoffe deutlich weniger gegen eine Ansteckung schützen. „Insofern ist auch offen, wie hoch die Eintrittswahrscheinlichkeit dieser Krisenszenarien ist. Ebenfalls denkbar ist außerdem, dass Omikron zwar ansteckender aber in den Krankheitsverläufen weit harmloser ist als die bisherigen Varianten, was uns dem Ende der Pandemie sogar ein Stück näherbrächte“, sagte Köhler-Geib abschließend. Save the Date: Die finalen November-Daten des IHS Markit/BME-Einkaufsmanager-Index (EMI) zur Entwicklung der deutschen Industrie werden am 1. Dezember 2021 von IHS Markit veröffentlicht. Der EMI gibt einen allgemeinen Überblick über die konjunkturelle Lage im Verarbeitenden Gewerbe der größten Volkswirtschaft Europas. Der Index erscheint seit 1996 unter Schirmherrschaft des BME. Für weitere Informationen:
Frank Rösch , BME-Konjunktur- und Rohstoffmonitoring
E-Mail: frank.roesch@bme.de