„Herausforderungen mit konkreten Lösungen stellen"
Wie ist Ihre Einkaufsabteilung strukturiert?
Unser Bereich ist in fünf Gruppen unterteilt: Der Projekteinkauf koordiniert die Sourcing-Entscheidungen bei Produktneueinführungen. Der strategische Einkauf/Global Category Management betreut unsere Lieferantenportfolios der vielzähligen Warengruppen und ist in der laufenden Serie für die Konditionengestaltung verantwortlich. Der operative Einkauf steuert dispositiv die täglichen Beschaffungsprozesse und sichert damit die Warenverfügbarkeit für die Fertigung. In der vierten Einkaufsgruppe, dem Lieferantenmanagement, geht es vorrangig um die Qualifizierung und Entwicklung unserer Lieferanten. Das fünfte Team verantwortet die Wareneingangsprozesse hinsichtlich Qualitätsprüfung und Reklamationsmanagement. In meiner Abteilung arbeiten gegenwärtig 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Unser jährliches Beschaffungsvolumen hat ein Volumen von rund 140 Millionen Euro bei einem Gesamtumsatz von 460 Millionen Euro.
Welche Produktionsmaterialien kaufen Sie ein?
Die wichtigsten Warengruppen für uns sind Aluminium-Strangguss-Profile, Dreh-, Fräs- und Stanzteile sowie elektromechanische Baugruppen für unsere Automatisierungslösungen wie beispielsweise automatische Tür- und Fensteröffnungsantriebe.
Verfolgen Sie die Entwicklung der Metallpreise?
Angesichts der wachsenden Volatilitäten und der großen Dynamik in diesem Markt ist das regelmäßige Scannen der Metallpreise, insbesondere bei Aluminium, für uns enorm wichtig. Wir verfolgen auch das Börsengeschehen an der London Metal Exchange. Die LME-Notierungen sind eine feste Größe in Preisgleitklauseln für die Preisabschlüsse mit unseren Profil-Lieferanten. Das Auf und Ab der Stahlpreise haben wir ebenfalls im Blick. Sie sind für uns ein wichtiger Faktor bei anstehenden Vertragsverhandlungen.
Hat der Ukraine-Krieg gravierende Auswirkungen auf die Metallmärkte?
Sowohl der Ukraine-Krieg als auch die Russland-Sanktionen werden von uns aufmerksam beobachtet, obwohl wir in diesen Märkten nicht direkt sourcen. In Gesprächen mit unseren Lieferanten haben wir erfahren, dass sich Stahlhändler mit nennenswerten Volumina im Russland-Geschäft jetzt komplett aus diesem Markt zurückziehen. Sie reagieren damit nicht etwa auf Druck der politischen Führung in Moskau, sondern treffen diese Entscheidung für sich allein – ein Schritt, den wir unterstützen. Meiner Einschätzung nach findet durch diesen Rückzug eine Marktverdichtung bei den europäischen Anbietern statt. Das wiederum führt zu weiterer Angebotsverknappung und verschiebt die Preise für Industriemetalle, aber auch für Energie weiter nach oben.
Ist eine Preisabsicherung beim Rohstoffeinkauf angesichts der schwierigen Marktverhältnisse überhaupt noch möglich?
Beim Abschluss von Verträgen geht es uns derzeit vor allem um die Lieferabsicherung. Angesichts der anhaltenden Störungen in den Lieferketten bitten uns unsere Lieferanten um einen größeren zeitlichen Vorlauf für Preisabschlüsse und Mengenabsicherungen. Während wir früher drei bis vier Monate vor Vertragsunterzeichnung unsere Bedarfe anmelden konnten, müssen wir jetzt bereits ein Jahr im Voraus oder mehr unsere benötigten Produktionsmengen platzieren und Preise fixieren. Das hat aber auch Vorteile. Denn aufgrund dieser langen Vorlaufzeiten und auch positiv gestalteten langjährigen Lieferantenbeziehungen gibt es bei uns im Moment kaum akute Materialengpässe.
Unsere Lieferanten sind wegen des Preisdrucks und den permanenten Unterbrechungen in den Lieferketten selbst stark verunsichert. Auch für sie ist es nicht zufriedenstellend, dass eigene Lieferungen an uns nur bedingt zugesagt werden können. Der Koordinationsaufwand daraus ist auf beiden Seiten erheblich. Auftragsbestätigungen hatten früher einen verbindlicheren Charakter, obwohl auf dem Papier schon immer der Vermerk „vorbehaltlich Verfügbarkeit“ zu finden war. Diese meistens kleingedruckten Texte werden von uns zurzeit besonders genau gelesen.
Kaufen die ausländischen GEZE-Tochtergesellschaften selbst vor Ort ein oder wird das von der Zentrale gesteuert?
Neben dem Hauptproduktionsstandort in Leonberg hat unser Unternehmen ausländische Produktionen in der Türkei, China und in Serbien. Es verfügt über 37 Vertriebs- und Servicegesellschaften rund um den Globus, darunter in Europa, der Asien-Pazifik-Region, dem Nahen Osten und in Südafrika. Gesamtbeschaffungsvolumina für Gleichteile im Sinne unseres Global Category Managements werden im Headquarter in Leonberg verhandelt. Gleichzeitig sind unsere ausländischen Werke in bestimmten Warengruppen autark und können selbständig vor Ort sourcen.
„Meine Aufgabe sehe ich darin, mein Einkaufsteam auf die erfolgreiche Umsetzung der vor uns liegenden Aufgaben bestmöglich vorzubereiten.”
Ist das GEZE-Geschäft in China angesichts Corona-Krise und Stromknappheit schwieriger geworden?
Unsere chinesische Vertriebsgesellschaft befindet sich in Shanghai. Das Geze-Werk in Tianjin musste nur zu Beginn der Covid-19-Pandemie für ein paar Tage schließen. Seitdem können wir dort kontinuierlich produzieren. Schwierigkeiten bereiten uns aktuell unsere Elektronikkomponenten. Diese werden in der Asien-Region gefertigt und zum Teil bei europäischen Herstellern montiert. Die asiatischen Geze-Controller kommen aber aufgrund des staatlichen Lockdowns zurzeit nicht aus dem Hafen Shanghai heraus. Es herrscht deshalb eine große Ungewissheit, wie es dort weitergeht.
Wie ist GEZE durch die Corona-Krise gekommen?
Bisher ganz gut. Natürlich gab und gibt es immer wieder gewisse Belastungen durch erhöhte Krankenstände und Schwächen in der Lieferkette, davon können wir uns nicht ausnehmen. Aber für die Auftragslage hat uns sicherlich geholfen, dass wir der Baubranche angehören. In diesem Industriezweig gab es seit Ausbruch der Pandemie im Gegensatz zu anderen keinen Absatzeinbruch. Ganz im Gegenteil, wir wachsen weiter und es ist für uns eher schwierig, die vollen Auftragsbücher zügig abzuarbeiten. Bei allen Lieferproblematiken ermöglichen wir dennoch weiterhin solides Wachstum bei GEZE.
Hat die Pandemie das strategische Handeln der Unternehmen verändert?
Ein Stück weit schon. Wir erkennen gegenwärtig Tendenzen zur Deglobalisierung und zu verstärktem Insourcing. Es wird in der Industrie intensiver analysiert, welche Bestandteile der Wertschöpfungskette wieder verstärkt im eigenen Unternehmen produziert werden könnten. Ich beobachte auch, dass geographisch weit entfernte Lieferketten heute stärker als mögliche Störfaktoren wahrgenommen werden als noch vor zwei oder drei Jahren. Meiner Einschätzung nach sollten Unternehmen angesichts der Pandemie-Erfahrungen sowie der anhaltenden geopolitischen Spannungen ihr Risiko- und Lieferantenmanagement sowie ihre Beschaffungsstrategien überdenken. Der Einkauf steht dabei in vorderster Linie.
Was ist noch neu?
In Absprache mit der Geschäftsführung ist meine Abteilung gerade dabei, den bisherigen Schwerpunkt von der reinen Kostenoptimierung zur immer wichtiger werdenden Absicherung von Lieferungen zu verschieben. Für uns heißt das unter Multiple-Sourcing-Gesichtspunkten, das bestehende Lieferantenportfolio zur Unterstützung unseres Wachstums zu erweitern. Damit erzielen wir nicht nur preisliche, qualitative und zeitliche Wettbewerbsvorteile, sondern reduzieren gleichzeitig unser Versorgungsrisiko. Dieser Schritt stellt an meinen Bereich deutlich höhere Anforderungen. So müssen wir uns intensiver mit den Risikoprofilen der Lieferantenmärkte beschäftigen und die Lieferantenqualifizierung noch intensiver betreiben.
Nutzen Sie dafür bereits digitale Technologien?
Im Rahmen unserer Beschaffungsprozesse arbeiten wir mit SAP, SRM und einigen Add-ons, beispielsweise für das Vertragsmanagement. Im Laufe dieses Jahres werden wir uns für eine neue IT-Plattformlösung entscheiden. Die Vorbereitungen dazu sind bereits angelaufen.
Welche Vision verfolgen Sie mit Blick auf Ihren Einkauf?
Es geht mir darum, die Geschäftsentwicklung des Unternehmens mit einem leistungsfähigen Einkauf zu unterstützen. Wir wollen uns den Herausforderungen in Gegenwart und Zukunft mit konkreten Lösungsmöglichkeiten stellen. Meine Aufgabe sehe ich darin, bei der Schaffung der dazu erforderlichen Strukturen mitzuhelfen und mein Einkaufsteam auf die erfolgreiche Umsetzung der vor uns liegenden Aufgaben bestmöglich vorzubereiten.
Das Interview führte Frank Rösch, BME-Konjunktur- und Rohstoffmonitoring